Chronobiologie
Verschiedene menschliche Rhythmen: In sämtlichen Bereichen des mensch-lichen Organismus finden sich biologische Rhythmen. In vielen Fällen sind wir uns der rhythmischen Prozesse nicht bewusst. Die ultrakurze Rhythmik, etwa jene der Nervenzellen, können wir gar nicht unmittelbar wahrnehmen. Anders verhält es sich beim Herzschlag oder bei der Atmung. Das rhythmische System des menschlichen Organismus ist äusserst breit angelegt. Langwellige (zirka-diane = ungefähr einen Tag dauernde) Rhythmen finden sich überwiegend im Stoffwechsel. Weitere Beispiele für zirkadiane Rhythmen sind die Periodizität von Blutdruck und Körpertemperatur. Mittelwellige Rhythmen, deren Zyklen Minuten oder Stunden dauern, betreffen vor- nehmlich die Herzfunktion und die Atmung, aber auch die Verdauung und die Frei- setzung von Hormonen. Kurzwellige Rhythmen haben eine Periodendauer von Millisekunden bis Sekunden. Sie sind die Grundlage des Nerven-Sinnessystems sowie der Wahrnehmungs- und Denktätigkeit. Leistungskurven: Aus der Lerntheorie weiss man, dass die Leistungsfähigkeit des Menschen über den Datumstag verteilt einer klaren Rhythmik unterstellt ist. So sind beispielsweise morgens zwischen 10 und 11 Kreativität, Konzentration und Kurzzeit- gedächtnis auf dem Leistungszenit. Zwischen 11 und 12 erreichen wir den Energie- höhepunkt, danach sinkt die Leistungsfähigkeit für drei Stunden ab. Erst um 15 Uhr erreicht das Langzeitgedächtnis seinen Tageshöhepunkt. Einige Unternehmen setzen die Erkenntnisse der Chronobiologie im Arbeitsalltag erfolgreich um. So werden Leis- tungsspitzen im Tagesverlauf für anspruchsvolle Tätigkeiten genutzt und Leistungs- tiefs durch Ruhe- und Entspannungspausen überbrückt. Die Medizin kennt eine differenzierte Rhythmik des Körperstoffwechsels, bis hinein in die Zellaktivität. Die Körpertemperatur ist beispielsweise tagesrhythmischen Schwan- kungen unterworfen, mit einem Anstieg zwischen 3 und 15 Uhr und einem Abfall zwi- schen 15 und 3 Uhr. Ebenso schwankt die Herz-/ Kreislauftätigkeit im Laufe des Ta- ges: Pulsfrequenz und Blutdruck durchlaufen am frühen Morgen die tiefsten Werte und am frühen Nachmittag die höchsten. Auch die Atemfrequenz sinkt auf ein Mini- mum im Bereich von 3 Uhr nachts und steigt in der folgenden Tageshälfte wieder an. Der tagesrhythmische Verlauf der Hämoglobin-Konzentration im Blut steigt am Vormittag an und erreicht zwischen 9 und 15 Uhr sein Tagesmaximum. Eine neue neurowissenschaftliche Studie aus Cambrige hat nachgewiesen, dass jede einzelne Körperzelle ihre Mini-Uhr hat. So vermehrten sich in einem Experiment mit Mäusen Herpes-Viren 10x mehr, wenn die Ansteckung am Morgen erfolgte. Tag und Nacht: Der Schlaf-Wach-Rhythmus ist das markanteste rhythmische Lebensphänomen, das wir als Menschen wahrnehmen. Dahinter stecken hoch komplexe hormonelle Taktgeber, die direkt von der Einstrahlung des Sonnenlichtes abhängig sind. Weisses Sonnenlicht fördert die Produktion von Serotonin, jenem Hormon, das Aktivität und Zufriedenheit anstösst. Dunkelheit dagegen mobilisiert Melatonin, welches beim Menschen schlafanstossend wirkt. Unabhängig von den täglichen Sonnenstunden sind wir genetisch unterschiedliche Chronotypen. Achim Kramer von der Charité in Berlin untersucht genetische Faktoren unserer inneren Uhr. Er beweist, dass unsere Uhrengene sehr verschieden sind. Menschen kommen mit der Prädisposition zum Langschläfer oder Frühaufsteher zur Welt. Die gesell- schaftlichen Rahmenbedingungen der westlichen Welt zwingen uns jedoch einen normierten Tagesrhythmus auf, der in vielen Fällen von der inneren biologischen Uhr abweicht. Tageslicht: Der deutsche Chronobiologe und Gehirnforscher Manfred Spitzer untersucht derzeit die Auswirkungen von biologisch optimiertem Licht auf die Leis- tungen von Schülern. Er hat herausgefunden, dass Jugendliche sich während der Pubertät durchwegs in Langschläfer verwandeln. Das heisst, die Schule beginnt für sie täglich zu einem Zeitpunkt, wo sie nach der inneren Uhr noch schlafen würden. Es erklärt sich von selbst, dass dies die Aufmerksamkeit und damit die Lernqualität beeinträchtigt. Intensiviertes blaues Licht stimuliert den Suprachiasmatischen Nuk- leus, die eigentliche Steuerzentrale unserer inneren Uhr, speziell intensiv. In der Fol- ge wird die Ausschüttung des Müdigkeitshormons Melatonin gehemmt und damit Wachheit und Aufmerksamkeit gefördert. Aus diesem Grund werden versuchsweise Schulzimmer mit Tageslichtlampen ausgerüstet und die Auswirkung auf den Lerner- folg überprüft. Das Ergebnis ist verblüffend. Die Schüler erreichen in standardisierten Aufmerksamkeitstests eine um 30% bessere Leistung als unter dem herkömmlichen, eher gelben Licht. Die Lesegeschwindigkeit der Schüler stieg unter dem Einsatz von aktivitätsförderndem Licht im Schnitt um 35%. Zeitverschiebung: Die innere Uhr eines Menschen orientiert sich am Sonnenauf- gang. Bereits innerhalb der gleichen Zeitzone differiert dieser von Osten nach Wes- ten aber um ungefähr 90 Minuten. Dies zwingt Menschen, die weiter im Westen der Zeitzone leben, gegen ihre innere Uhr aufzustehen. Damit erklärt sich auch der Jet- lag, welchen wir bei Reisen über mehrere Zeitzonen erleben. Der zirkadiane Rhyth- mus des Organismus wird dabei durch den Verlust des Taktes von Tag und Nacht empfindlich gestört. Im Prinzip erlebt auch ein Chronotyp der eher spät zu Bett geht und morgens lange schläft eine Art sozialen Jetlag (Till Roenneberg), weil der Wecker ihn subjektiv mit- ten in der Nacht aus dem Schlaf reisst. Auch Schichtarbeiter geraten durch den Ver- lust des natürlichen Tag-/ Nachttaktes aus dem individuellen chronobiologischen Rhythmus. Die Verschiebung der Schlafzeit und der Mangel an Sonnenlicht können zu gesundheitlichen Störungen führen. Nachtarbeiter haben nachweislich häufiger Krebs, Depressionen und Diabetes. Einen ähnlichen Effekt hat der Verlust an tägli- chen Sonnenstunden in der Winterzeit, was die Entstehung der Winterdepressionen erklärt. Schlaf: Der Schlafforscher Dieter Kunz betont, dass die innere Uhr ständig durch die beiden Taktgeber Licht und Dunkelheit angestossen werden muss. Dabei hat nur das blaue Licht einen Einfluss auf die Synchronisierung der inneren Uhr. Im Falle der Sonne ist dies erwünscht. Aber auch Computerbildschirme strahlen ein blaues Licht ab und können den Schlaf empfindlich stören, wenn wir vor dem Schlafengehen noch arbeiten. Das Bildschirmlicht verhindert die Produktion des schlafanstossenden Hor- mons Melatonin. Am Zentrum für Chronobiologie der Universität Basel experimentier- te man erfolgreich mit orangen Brillen, welche das blaue Licht ausfiltern. Inzwischen gibt es Bildschirm-Applikationen, die durch flexible Färbung den Effekt des Einnach- tens abends simulieren. Till Roenneberg verweist darauf, dass wir früher einen Tagesablauf im Einklang mit der Natur gelebt haben. Die Industrialisierung und insbesondere die Globalisierung der letzten Jahrzehnte hat diesen Rhythmus völlig durcheinander gebracht und un- sere innere Uhr damit weitgehend überfordert. Viele Menschen schlafen ausserdem zu wenig, weil sie als späte Chronotypen abends nicht früh ins Bett gehen können, sich morgens aber gleichwohl früh ans Tagwerk machen müssen. Die beschleunigte, hektische und reizüberflutende Welt überdreht den menschlichen Organismus und lässt ihn schwer zur Ruhe kommen. Die moderne Freizeitkultur lässt manchen auch bewusst länger wach bleiben, entgegen seiner inneren Uhr. Schlaf und Diabetes: Auch unser Ernährungsverhalten hat sich grundlegend ver- ändert. Viele essen während des ganzen Tages, weil Nahrung überall und jederzeit verfügbar ist. Diese Luxusernährung, so Elmar Peschke, führt dazu, dass unsere Bauchspeicheldrüse im Dauerbetrieb steht, um Insulin frei zu setzen. Dies führt im Falle des Diabetes Typ II dazu, dass die Insulinproduktion irgendwann eingestellt wird. Peschke hat festgestellt, dass das Schlafhormon Melatonin die Insulinproduk- tion hemmt. Die Kombination von Dauerernährung und Schlafmangel erhöht darum das Risiko, an Diabetes zu erkranken. Wenn wir schon zuviel essen, sollten wir we- nigstens genügend schlafen. Schlaf und Demenz: In einer gross angelegten Studie an Demenzkranken unter- sucht Dieter Kunz den Zusammenhang von Schlafqualität und Demenz. Nächtliche Unruhezustände und ein weitgehender Verlust der inneren Rhythmik von Tag und Nacht sind oft beobachtete Begleiterscheinungen der Krankheit. In den Pflegehei- men hat man nun verschiedene Massnahmen ergriffen, um die innere Uhr der Er- krankten wieder besser zu synchronisieren. So beschäftigt man die Menschen tags- über sehr bewusst und hält sie aktiv. Ausserdem arbeitet man intensiv mit Tageslicht- lampen und berücksichtigt den individuellen Chronotyp bei den Schlafenszeiten. Mit Hilfe dieser Massnahmen hat die nächtliche Unruhe der demenzkranken Menschen signifikant abgenommen. Kunz hat einen eindeutigen Zusammenhang von mangelndem Tageslicht und nächt- licher Unruhe nachgewiesen. Er schlägt auch gesunden Menschen vor, den Tag aktiv zu gestalten und sich genügend in hellem Licht aufzuhalten. Inzwischen gibt es sogar Hinweise, dass Schlafmangel für die Entstehung von Alzheimer-Demenz mit- verantwortlich sein könnte. So wäre eine Altersdemenz der Preis dafür dass wir ein Leben gegen die innere Uhr führen. Unsere durchschnittliche nächtliche Schlafdauer hat in den letzten 20 Jahren um eine halbe Stunde abgenommen. Chronotherapie: Aktuelle Studien an der Charité Berlin bezüglich der Chemothera- pie von Krebserkrankungen berücksichtigen die Zellaktivität gesunder Zellen bei der Abgabe von Zytostatika-Medikamenten. Man hat festgestellt, dass die gesunden Zel- len sich im Rhythmus der inneren Uhr verhalten und darum auch berechenbare Ruhephasen einlegen. Die Krebszellen dagegen verhalten sich chaotisch und sind durch das Tageslicht nicht mehr synchronisierbar. Die Krebs-Medikation ist besser erträglich, wenn man diese gezielt in die inaktive Phase der unversehrten Zellen legt. Zu diesem Zweck ermittelt man möglichst präzise die individuelle innere Uhr des Patienten. Die Zukunft kann so aussehen, dass man spezifische Verabreichungszei- ten für die unterschiedlichen Medikamente und Zelltypen wählen wird. Der Rheumatologe Frank Buttgereit unterscheidet eine innere Uhr für normale Stoff- wechselvorgänge und einen taktgeber für pathophysiologische Abläufe unter Krank- heitsbedingungen. Er hat herausgefunden, dass die Entzündungsparameter im Kör- per nachts ansteigen und der Botenstoff für rheumatische Entzündungen um 02.00 Uhr nachts seine höchste Konzentration erreicht. Anstatt morgens die rheumatischen Symptome mit einem Kortisonpräparat zu bekämpfen, gelingt es Buttgereit, die ent- zündliche rheumatische Symptomatik durch den punktgenauen zeitlichen Einsatz des Medikamentes bereits im Ansatz einzudämmen. Francis Levi wendet dieses Prinzip in Paris auf die Behandlung von Krebserkrank- ungen an. Er stimmt die Medikation auf die individuelle innere Uhr des Patienten ab. Dazu verwendet Levi ein mobiles Pumpensystem, welches jedes unterschiedliche Medikament zum bestmöglichen Zeitpunkt an den Patienten abgibt. Der Effekt ist eine Verringerung der Nebenwirkungen und dadurch eine Verbesserung der Lebens- qualität. Ob die Chronotherapie auch lebensverlängernd ist, wird sich zeigen. Tagesqualität: Die chronobiologischen Phasen von Albert J. Dietziker unterlegen den oben erwähnten menschlichen Reaktionen auf endogene und exogene Rhyth- men eine spezifische Qualität für einen ganzen Datumstag. Zusätzlich zu den Schwankungen im Laufe eines Tages definieren die Herz-, Kopf- und Kreislauf- phasen des BIO-DAB-Systems die Tagesverfassung eines Menschen, auf Grund derer sich die Stoffwechselprozesse und die Reaktionen des Organismus auf Um- welteinflüsse je nach Tag sehr verschieden ausprägen. Hinsichtlich medizinischer Untersuchungen und Operationen ist dies von erheblicher Bedeutung. Einerseits lassen sich Komplikationen während Eingriffen verringern, sofern man Belastungs- phasen vermeidet. Dies betrifft ganz zentral Narkose- und Gerinnungsstörungen und natürlich die Widerstandskraft des Herzens. Auch minimal-invasive Katheterunter- suchungen des Herzens sollten nicht in einer Herz- oder einer Kreislaufphase erfol- gen.  Anderseits lassen sich körperliche Krankheiten eher aufdecken, wenn die entsprechenden Untersuchungen während spezifischen Tageskonstellationen vorgenommen werden. Natürliche Kompensationsmechanismen des Organismus können so umgangen werden. Herz- oder Hirnstrommessungen beispielsweise sollten darum auf eine entsprechende Herz- oder Kopf-Phase gelegt werden.
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